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Zirkus Hülsen in der Oper
Die Geschichte der Berliner Opernhäuser (Teil 4) ·
Von Susanne Geißler
Als Theodor Küstner in der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen
Abschied von der Königlichen Oper nahm, berief Friedrich Wilhelm
IV. einen völlig Unbekannten auf dessen Posten, den Ex-Premierleutnant
Botho von Hülsen. Obwohl nur ein durchschnittlicher Militär,
hatte er sich als brauchbarer Arrangeur von Casino-Abenden, als
Schauspieler bei den Liebhaberaufführungen seines Regiments
und als Autor von Parodien profiliert. An militärischen Vergnügen
nahm der König oft teil und amüsierte sich köstlich,
nicht zuletzt über den Spaßvogel von Hülsen. Als
nun die Stelle eines Generalintendanten vakant geworden war, verpflichtete
der Regent seinen clownesken Offizier.
Dass Sie ein Ochse sind...
„Mein straff soldatisches Wesen behagte gar nicht“,
bekannte von Hülsen noch 1881, „und es war sehr bald,
wie man zu sagen pflegt, der Teufel los“. Er musste nicht
wenige anonyme Briefe lesen, in denen ihm seine Untergebenen die
Wahrheit sagten. Einer hub ab mit dem Satz: „Dass Sie ein
Ochse sind, wissen wir schon.“ Der Dirigent Hans von Bülow
machte seinem Herzen öffentlich Luft. Als Kritiker der „Vossischen
Zeitung“ bezeichnete er die Oper schlicht als „Zirkus
Hülsen“ und als eine „alte Rumpelkammer“.
Einmal besuchte er eine Vorstellung in Trauerkleidung: mit schwarzer
Krawatte und Trauerflor. Auf eine entsprechende Frage antwortete
er: „Meine Trauer gilt der heutigen Oper. Bei einem anständigen
Begräbnis erscheine ich immer in diesem Aufzug.“
Seine solchermaßen unmissverständlich zur Schau gestellte
Kritik brachte von Bülow nicht nur ein Hausverbot Unter den
Linden ein, sondern auch eine herzogliche Rüge daheim in Meiningen.
Zirzensisch ging es vorerst in der Hofoper keineswegs zu, eher
militärisch, denn der neue Herrscher auf dem Berliner Hofopernthron
wusste sich mit seinem nassforschen Kasernenton zunächst einmal
viele Feinde zu machen. Doch Hülsen war ehrgeizig und wendig
genug, um zumindest seinem Brotherren die Oper zu bieten, die dieser
erwartete: eine gefällige Augen-und Ohrenweide, möglichst
repräsentativ und konservativ. Der Spielplan führte Bewährtes
bewährt fort, mied Novitäten, bevorzugte Mittelmäßiges,
wie schon zu Küstners Zeiten. Die Mehrzahl der Premieren galt
Werken, die heute längst vergessen sind. Wesentliche Neuigkeiten
wurden nur dann übernommen, wenn sie andernorts bereits Erfolg
gehabt hatten. Experimente waren tabu. Beim Engagement der Solisten
hatte Hülsen mehr Fortune. Es gelang ihm, eine Reihe hervorragender
Sänger und Sängerinnen nach Berlin zu verpflichten. Pauline
Lucca, Mathilde Mallinger und Lilli Lehmann, wohl die brillantesten
Sterne am Berliner Opernhimmel ihrer Zeit, sind heute noch nicht
vergessen.
Ungeliebter Wagner
Den Spielplan bestimmten Meyerbeers Werke. Spontinis Huldigungsopern
erlebten eine Renaissance, dazu gleich in den ersten Jahren eine
Donizetti-Hochflut. Besonders pikant gestaltete sich das Verhältnis
von Hülsens zu Wagner. Der Offizier konnte dem „Freigeist“
nie verzeihen, dass er am Dresdner Aufstand im Mai 1849 teilgenommen
hatte. Der Zufall wollte es, dass von Hülsen ausgerechnet in
jenem Regiment Adjutant war, das in Dresden die Revolutionäre
niederschlagen sollte – unter ihnen befand sich Wagner. „Nach
unserer Begegnung in Dresden im Mai ‘49 widerstrebt es mir,
in irgendeine persönliche Beziehung zu dem Genannten zu treten“,
gestand er einmal schriftlich. Da aber andere deutsche Bühnen
regelmäßig erfolgreich Wagner spielten, konnte ihn die
Berliner Oper auf die Dauer nicht ignorieren.
Hülsens persönliche Abneigung übertrug sich anfangs
auf das Publikum. Der „Tannhäuser“ fand 1856 noch
freundliche Aufnahme. Es folgten 1859 „Lohengrin“, 1865
„Rienzi”, 1868 „Der fliegende Holländer“,
alle drei mit mäßigem Beifall bedacht. Als am 1 . April
1870 „Die Meistersinger“ bei drastisch erhöhten
Eintrittspreisen (ein Parkettplatz für 16 Thaler) auf die Bühne
kam, johlte und pfiff das Publikum, hauptsächlich Hofschranzen
und die snobistische Geldaristokratie, schon bei der Ouvertüre.
Den Reinfall besiegelte die Presse. Sie ließ kein gutes Haar
an dem Werk: „Ein Berg von Albernheiten und Plattheiten“,
„grauenvolle Katzenmusik“, „Ende aller Musik“,
„ein musikalisches Monstrum“, „ein musikalischer,
Ohren zerreißender Wirrwarr“, „ein musikalischer
Wechselbalg, ein stundenlanges, qualvolles Waten in öder, trockener
Wüste“, so lauteten die Verrisse. Bis zur vierten Vorstellung
rebellierte das Publikum anhaltend. Doch als ein Jahr später,
1871, im nationalen Aufwind der Reichsgründung Wagner selbst
nach Berlin kam, wurde er gefeiert, als hätte es an der Spree
nie eine Wagner-Antipathie gegeben.
Erst 1876, elf Jahre nach der Münchner Uraufführung,
entschloss sich Hülsen „auf höheren Befehl“
„Tristan und Isolde“ anzusetzen. Der Parkettplatz kostete
nun 20 Thaler, das ausverkaufte Haus reagierte recht zurückhaltend.
Hülsen urteilte wieder einmal höchst inkompetent: „,Lohengrin
und „,Tannhäuser`` sind für die Ewigkeit geschrieben,
von ,Tristan’ und dem ,Nibelungenring’ wird man schwerlich
noch in fünfzig Jahren sprechen.“ Da sich Hülsen
konstant weigerte, den „Ring des Nibelungen“, den er
bei den ersten Bayreuther Festspielen 1876 erlebt hatte, in Berlin
aufzuführen, vergab Wagner die Rechte an den aus Prag stammenden,
in Leipzig als Operndirektor tätigen Angelo Neumann, der seine
Leipziger Ring-Produktion nach Berlin brachte. Dem privaten Victoria-Theater
in der Münzstraße blieb es vorbehalten, 1881 in einem
wahren Kraftakt die Berliner Erstaufführung zu bewältigen.
Der anwesende Wagner war wie das Publikum, unter das sich kaum die
übliche Hofopernklientel gemischt hatte, mit dem Dargebotenen
hoch zufrieden. Erst sieben Jahre später, nachdem Wagner und
von Hülsen gestorben waren, erschien ein kompletter Ring im
Repertoire der Königlichen Hofoper.
Nach Wagners Tod am 13. Februar 1883 wollte der Richard-Wagner-Verein
im Opernhaus Unter den Linden einen Trauerakt ausrichten. Doch von
Hülsen lehnte ab mit dem Hinweis, schließlich seien Mozart,
Weber, Meyerbeer, Goethe und Schiller ebenfalls gestorben, ohne
dass die Welt „von einer derart exorbitanten, allerdings zum
Teil künstlich gemachten Aufregung erfasst worden wäre“.
Allerdings gestattete er schließlich doch, eine Wagner-Büste
aufzustellen. Die Wagner-Pflege unter Hülsens Intendanz zählt
somit nicht zu den Ruhmesblättern in der Geschichte der Berliner
Oper.
Seltene Höhepunkte
Und Verdi? Immerhin dauerte es bis 1857, ehe der „Troubadour“,
als erstes Werk des großen Italieners in Berlin zur Kenntnis
genommen wurde. Zwei Jahre später folgte „Ernani“,
1860 endlich „Rigoletto“ und „La Traviata“
und schließlich ein Jahr danach der „Maskenball“.
Doch damit erschöpfte sich das Interesse für Verdis Schaffen.
Erst 1874 ließ Hülsen noch eine „Aida“ mit
Mathilde Mallinger in der Titelpartie folgen. Dann sucht man für
fast zwei Jahrzehnte vergebens Verdis Namen auf den Berliner Premierenplänen.
An wirklich bemerkenswerten Berliner Erstaufführungen waren
zu nennen Gounods „Margarete“ 1863 mit der zwei Jahre
zuvor aus Prag verpflichteten, das Berliner Publikum begeisternden
Koloratursopranistin Pauline Lucca in der Titelpartie, Meyerbeers
„Afrikanerin“ noch im Uraufführungsjahr 1862. Gounods
„Romeo und Julia“ 1869 sowie im gleichen Jahr „Mignon“
von Thomas und schließlich 1880 Bizets „Carmen“
abermals mit der Lucca als stürmisch gefeierter Zigeunerin.
In den großen weiblichen Wagner-Partien brillierte Lilli Lehmann,
die den Ruhm deutscher Sängerinnen in einem dreijährigen
Gastspiel 1884 bis 1887 an die Met nach New York trug, zu damals
schon verlockenden Gagen. Wesentliche Werke deutscher Komponisten
des 19. Jahrhunderts neben Wagner waren dünn gesät. 1875
erlebte „Das goldene Kreuz“ von Ignatz Brüll die
seltene Ehre einer Berliner Uraufführung und avancierte zur
Lieblingsoper von Kaiser Wilhelm I. Dennoch ist sie längst
vergessen. Als Botho von Hülsen am 30. September 1886 starb,
hinterließ er, wie viele Intendanten der Königlichen
Schauspiele vor ihm, eine Opernszene geprägt von äußerem
Pomp ohne tiefere geistige Ambitionen.
„Zirkus“ der Stars
Waren die 35 Jahre „Zirkus Hülsen“ nun völlig
glanzlos gewesen? Im Sinne seiner Gesellschaft wohl nicht, denn
er bot seinen preußischen Herrschern, dem Adel und dem Großbürgertum
im neuen Kaiserreich jene aufwändigen, inhaltlich ausgedörrten,
aber äußerlich prunkvollen Opernfeste, die sie von ihm
verlangten. Hülsens Stärke zeigte sich in seiner Fähigkeit,
die größten Gesangsstars seiner Zeit an sein Haus zu
binden, die dann oft für 30 oder 50 Abende pro Saison zur Verfügung
standen. Wenn es ein Charakteristikum für die Ära Hülsen
gibt, dann die Herrschaft der Stars. Nicht das Werk, sondern allein
seine möglichst glänzende Präsentation galt. Aber
selbst dieser Glanz erblindete in den letzten Hülsen-Jahren,
da das Ensemble inzwischen in wesentlichen Positionen überaltert
war.
Susanne Geißler
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