Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Inferno Kulturpolitik
Ein Porträt des Bremer Theaters und ein Interview mit Klaus Pierwoß
Die Oper ist uns lieb und teuer
Ein Kongress über die Kosten der Oper

Portrait
Zirkus Hülsen in der Oper
Die Geschichte der Berliner Opernhäuser (Teil 4)
Ausflug nach Deutschland
Ein Gespräch mit dem Choreografen Graeme Murphy

Berichte
Schlag nach bei Adorno
Hindemiths „Mathis der Maler“ in Hamburg
Tagträumend und nachtwandelnd
„Macbeth“ an der Semperoper Dresden
Ein Meister des Selbstzitats
Konwitschnys „Cosi fan tutte“ in Berlin

Alles, was Recht ist
Kostenerstattung bei Zahnersatz - Vereitelung des Kündigungszugangs - Durchschnittsentgelte sinken - Aufgepasst bei Konventionalstrafen

VdO-Nachrichten
Nachrichten
Zum Stand der Verhandlungen über die neuen Gagenregelungen im
Normalvertrag Bühne - … und weitere Nachrichten

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Oper und Tanz im TV
Stellenmarkt
Festspiel-Vorschau 2005
Spielpläne 2005/2006

 

Portrait

Zirkus Hülsen in der Oper

Die Geschichte der Berliner Opernhäuser (Teil 4) · Von Susanne Geißler

Als Theodor Küstner in der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Abschied von der Königlichen Oper nahm, berief Friedrich Wilhelm IV. einen völlig Unbekannten auf dessen Posten, den Ex-Premierleutnant Botho von Hülsen. Obwohl nur ein durchschnittlicher Militär, hatte er sich als brauchbarer Arrangeur von Casino-Abenden, als Schauspieler bei den Liebhaberaufführungen seines Regiments und als Autor von Parodien profiliert. An militärischen Vergnügen nahm der König oft teil und amüsierte sich köstlich, nicht zuletzt über den Spaßvogel von Hülsen. Als nun die Stelle eines Generalintendanten vakant geworden war, verpflichtete der Regent seinen clownesken Offizier.

Dass Sie ein Ochse sind...

„Mein straff soldatisches Wesen behagte gar nicht“, bekannte von Hülsen noch 1881, „und es war sehr bald, wie man zu sagen pflegt, der Teufel los“. Er musste nicht wenige anonyme Briefe lesen, in denen ihm seine Untergebenen die Wahrheit sagten. Einer hub ab mit dem Satz: „Dass Sie ein Ochse sind, wissen wir schon.“ Der Dirigent Hans von Bülow machte seinem Herzen öffentlich Luft. Als Kritiker der „Vossischen Zeitung“ bezeichnete er die Oper schlicht als „Zirkus Hülsen“ und als eine „alte Rumpelkammer“. Einmal besuchte er eine Vorstellung in Trauerkleidung: mit schwarzer Krawatte und Trauerflor. Auf eine entsprechende Frage antwortete er: „Meine Trauer gilt der heutigen Oper. Bei einem anständigen Begräbnis erscheine ich immer in diesem Aufzug.“

Seine solchermaßen unmissverständlich zur Schau gestellte Kritik brachte von Bülow nicht nur ein Hausverbot Unter den Linden ein, sondern auch eine herzogliche Rüge daheim in Meiningen.

Zirzensisch ging es vorerst in der Hofoper keineswegs zu, eher militärisch, denn der neue Herrscher auf dem Berliner Hofopernthron wusste sich mit seinem nassforschen Kasernenton zunächst einmal viele Feinde zu machen. Doch Hülsen war ehrgeizig und wendig genug, um zumindest seinem Brotherren die Oper zu bieten, die dieser erwartete: eine gefällige Augen-und Ohrenweide, möglichst repräsentativ und konservativ. Der Spielplan führte Bewährtes bewährt fort, mied Novitäten, bevorzugte Mittelmäßiges, wie schon zu Küstners Zeiten. Die Mehrzahl der Premieren galt Werken, die heute längst vergessen sind. Wesentliche Neuigkeiten wurden nur dann übernommen, wenn sie andernorts bereits Erfolg gehabt hatten. Experimente waren tabu. Beim Engagement der Solisten hatte Hülsen mehr Fortune. Es gelang ihm, eine Reihe hervorragender Sänger und Sängerinnen nach Berlin zu verpflichten. Pauline Lucca, Mathilde Mallinger und Lilli Lehmann, wohl die brillantesten Sterne am Berliner Opernhimmel ihrer Zeit, sind heute noch nicht vergessen.

Ungeliebter Wagner

Den Spielplan bestimmten Meyerbeers Werke. Spontinis Huldigungsopern erlebten eine Renaissance, dazu gleich in den ersten Jahren eine Donizetti-Hochflut. Besonders pikant gestaltete sich das Verhältnis von Hülsens zu Wagner. Der Offizier konnte dem „Freigeist“ nie verzeihen, dass er am Dresdner Aufstand im Mai 1849 teilgenommen hatte. Der Zufall wollte es, dass von Hülsen ausgerechnet in jenem Regiment Adjutant war, das in Dresden die Revolutionäre niederschlagen sollte – unter ihnen befand sich Wagner. „Nach unserer Begegnung in Dresden im Mai ‘49 widerstrebt es mir, in irgendeine persönliche Beziehung zu dem Genannten zu treten“, gestand er einmal schriftlich. Da aber andere deutsche Bühnen regelmäßig erfolgreich Wagner spielten, konnte ihn die Berliner Oper auf die Dauer nicht ignorieren.

Hülsens persönliche Abneigung übertrug sich anfangs auf das Publikum. Der „Tannhäuser“ fand 1856 noch freundliche Aufnahme. Es folgten 1859 „Lohengrin“, 1865 „Rienzi”, 1868 „Der fliegende Holländer“, alle drei mit mäßigem Beifall bedacht. Als am 1 . April 1870 „Die Meistersinger“ bei drastisch erhöhten Eintrittspreisen (ein Parkettplatz für 16 Thaler) auf die Bühne kam, johlte und pfiff das Publikum, hauptsächlich Hofschranzen und die snobistische Geldaristokratie, schon bei der Ouvertüre. Den Reinfall besiegelte die Presse. Sie ließ kein gutes Haar an dem Werk: „Ein Berg von Albernheiten und Plattheiten“, „grauenvolle Katzenmusik“, „Ende aller Musik“, „ein musikalisches Monstrum“, „ein musikalischer, Ohren zerreißender Wirrwarr“, „ein musikalischer Wechselbalg, ein stundenlanges, qualvolles Waten in öder, trockener Wüste“, so lauteten die Verrisse. Bis zur vierten Vorstellung rebellierte das Publikum anhaltend. Doch als ein Jahr später, 1871, im nationalen Aufwind der Reichsgründung Wagner selbst nach Berlin kam, wurde er gefeiert, als hätte es an der Spree nie eine Wagner-Antipathie gegeben.

Erst 1876, elf Jahre nach der Münchner Uraufführung, entschloss sich Hülsen „auf höheren Befehl“ „Tristan und Isolde“ anzusetzen. Der Parkettplatz kostete nun 20 Thaler, das ausverkaufte Haus reagierte recht zurückhaltend. Hülsen urteilte wieder einmal höchst inkompetent: „,Lohengrin und „,Tannhäuser`` sind für die Ewigkeit geschrieben, von ,Tristan’ und dem ,Nibelungenring’ wird man schwerlich noch in fünfzig Jahren sprechen.“ Da sich Hülsen konstant weigerte, den „Ring des Nibelungen“, den er bei den ersten Bayreuther Festspielen 1876 erlebt hatte, in Berlin aufzuführen, vergab Wagner die Rechte an den aus Prag stammenden, in Leipzig als Operndirektor tätigen Angelo Neumann, der seine Leipziger Ring-Produktion nach Berlin brachte. Dem privaten Victoria-Theater in der Münzstraße blieb es vorbehalten, 1881 in einem wahren Kraftakt die Berliner Erstaufführung zu bewältigen. Der anwesende Wagner war wie das Publikum, unter das sich kaum die übliche Hofopernklientel gemischt hatte, mit dem Dargebotenen hoch zufrieden. Erst sieben Jahre später, nachdem Wagner und von Hülsen gestorben waren, erschien ein kompletter Ring im Repertoire der Königlichen Hofoper.

Nach Wagners Tod am 13. Februar 1883 wollte der Richard-Wagner-Verein im Opernhaus Unter den Linden einen Trauerakt ausrichten. Doch von Hülsen lehnte ab mit dem Hinweis, schließlich seien Mozart, Weber, Meyerbeer, Goethe und Schiller ebenfalls gestorben, ohne dass die Welt „von einer derart exorbitanten, allerdings zum Teil künstlich gemachten Aufregung erfasst worden wäre“. Allerdings gestattete er schließlich doch, eine Wagner-Büste aufzustellen. Die Wagner-Pflege unter Hülsens Intendanz zählt somit nicht zu den Ruhmesblättern in der Geschichte der Berliner Oper.

Seltene Höhepunkte

Und Verdi? Immerhin dauerte es bis 1857, ehe der „Troubadour“, als erstes Werk des großen Italieners in Berlin zur Kenntnis genommen wurde. Zwei Jahre später folgte „Ernani“, 1860 endlich „Rigoletto“ und „La Traviata“ und schließlich ein Jahr danach der „Maskenball“. Doch damit erschöpfte sich das Interesse für Verdis Schaffen. Erst 1874 ließ Hülsen noch eine „Aida“ mit Mathilde Mallinger in der Titelpartie folgen. Dann sucht man für fast zwei Jahrzehnte vergebens Verdis Namen auf den Berliner Premierenplänen.

An wirklich bemerkenswerten Berliner Erstaufführungen waren zu nennen Gounods „Margarete“ 1863 mit der zwei Jahre zuvor aus Prag verpflichteten, das Berliner Publikum begeisternden Koloratursopranistin Pauline Lucca in der Titelpartie, Meyerbeers „Afrikanerin“ noch im Uraufführungsjahr 1862. Gounods „Romeo und Julia“ 1869 sowie im gleichen Jahr „Mignon“ von Thomas und schließlich 1880 Bizets „Carmen“ abermals mit der Lucca als stürmisch gefeierter Zigeunerin. In den großen weiblichen Wagner-Partien brillierte Lilli Lehmann, die den Ruhm deutscher Sängerinnen in einem dreijährigen Gastspiel 1884 bis 1887 an die Met nach New York trug, zu damals schon verlockenden Gagen. Wesentliche Werke deutscher Komponisten des 19. Jahrhunderts neben Wagner waren dünn gesät. 1875 erlebte „Das goldene Kreuz“ von Ignatz Brüll die seltene Ehre einer Berliner Uraufführung und avancierte zur Lieblingsoper von Kaiser Wilhelm I. Dennoch ist sie längst vergessen. Als Botho von Hülsen am 30. September 1886 starb, hinterließ er, wie viele Intendanten der Königlichen Schauspiele vor ihm, eine Opernszene geprägt von äußerem Pomp ohne tiefere geistige Ambitionen.

„Zirkus“ der Stars

Waren die 35 Jahre „Zirkus Hülsen“ nun völlig glanzlos gewesen? Im Sinne seiner Gesellschaft wohl nicht, denn er bot seinen preußischen Herrschern, dem Adel und dem Großbürgertum im neuen Kaiserreich jene aufwändigen, inhaltlich ausgedörrten, aber äußerlich prunkvollen Opernfeste, die sie von ihm verlangten. Hülsens Stärke zeigte sich in seiner Fähigkeit, die größten Gesangsstars seiner Zeit an sein Haus zu binden, die dann oft für 30 oder 50 Abende pro Saison zur Verfügung standen. Wenn es ein Charakteristikum für die Ära Hülsen gibt, dann die Herrschaft der Stars. Nicht das Werk, sondern allein seine möglichst glänzende Präsentation galt. Aber selbst dieser Glanz erblindete in den letzten Hülsen-Jahren, da das Ensemble inzwischen in wesentlichen Positionen überaltert war.

Susanne Geißler

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner