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Altes und Neues verbinden
Die Oper Frankfurt auf Erfolgskurs · Von Midou Grossmann
Altes muss nicht immer schlecht und Neues nicht immer besser sein.
Das Wesentliche in einer Erfolgsstory sind Menschen, die ein gemeinsames
Ziel konsequent verfolgen und harmonisch zusammenarbeiten. Harmonie
und Kollegialität sind Worte, die immer wieder von Mitarbeitern
der Oper Frankfurt genannt werden, spricht man über das Arbeitsklima
des Hauses.
Wechselhafte Geschichte
Die Städtischen Bühnen Frankfurt haben eine wechselhafte
Vergangenheit, die sich auch in der Entwicklung der Stadt widerspiegelt.
1944 gehen Oper und Schauspiel während einer Bombennacht in
Flammen auf und werden erst 1951 wiedereröffnet. Generalmusikdirektor
Georg Solti führt das Haus in seiner Amtszeit (1952-1961) auf
internationales Niveau. Vom Erfolg beflügelt, beschließen
die Stadtväter den Bau einer neuen Theateranlage, die 1963
eingeweiht wird. Auf Christoph von Dohnányi, Generalmusikdirektor
von 1967 bis 1977, folgt Michael Gielen für zehn Jahre. Dieser
holt Regisseure ans Haus, die mit der alten inszenatorischen Tradition
brechen. Es inszenieren Hans Neuenfels, Ruth Berghaus, Herbert Wernicke,
Alfred Kirchner, Christof Nel. Frankfurt macht Schlagzeilen, Opernhaus
und Stadt befinden sich im Umbruch. Doch das Haus verliert auch
Zuschauer, und der Großbrand von 1987, der die Oper für
vier Jahre unbespielbar macht, verstärkt diese Entwicklung
noch. 1994 war der Spielbetrieb dann auf 60 Opernabende im großen
Haus pro Jahr zusammengeschrumpft, besonders „Fortschrittliche“
forderten sogar eine Schließung des Hauses. Später –
unter Cambreling und Steinhoff – konnte die Anzahl der Abende
wieder verdoppelt werden, doch erst seit der Intendanz von Bernd
Loebe – ab 2002 – ist die Oper Frankfurt so richtig
auf Erfolgskurs. Schon nach der ersten Spielzeit des neuen Intendanten
wird sie von der Fachpresse zum „Opernhaus des Jahres“
gekürt.
Große Kraftanstrengung
Bernd Loebe, in Frankfurt geboren und schon als Kind ein fleißiger
Opernbesucher, ist vielen Musikfreunden noch als Journalist der
FAZ und Redakteur des Hessischen Rundfunks bekannt. Wieder in seine
Geburtsstadt zurückgekehrt, nach einer erfolgreichen Zeit in
Brüssel als Operndirektor, möchte er an die große
musikalische Tradition anknüpfen, die er in seiner Jugend kennen
gelernt hat. Loebe hat ein fast nicht mehr existentes Ensemble neu
aufgebaut und war somit in der Lage, hervorragende junge Künstler
an das Haus zu holen, gleichzeitig setzt er wieder auf Repertoire.
Resultat seines effizienten Managements ist ein Haus, das für
etwa 150 Vorstellungen im Jahr personell strukturiert ist, doch
rund 210 Vorstellungen im großen Haus und zirka 70 sonstige
Veranstaltungen in der aktuellen Spielzeit anbieten kann. Diese
unglaubliche Kraftanstrengung ist laut Loebe nur möglich, weil
sich die Mitarbeiter der Quantität wie der Qualität in
einer Zeit verpflichtet fühlen, die nur ungenügend ethische
Fragen der Gegenwart aufgreift. Loebe empfindet sein Haus als eine
fast wütende Produktionsstätte, die er wie folgt beschreibt:
„Aus den verschiedensten Abteilungen strömen die Energien
zusammen, und ich stelle gerne fest, dass ich sehr, sehr dankbar
bin für die vielfältigen freundschaftlichen Kontakte,
die konstruktiven Vorschläge. Keine destruktiven „Bremser“
blockieren, keine „Paragraphen-Reiter“ drängen
künstlerisch-organisatorische Problematiken in den Hintergrund.“
Bernd Loebe hat zusammen mit Bernd Fülle, dem geschäftsführenden
Intendanten der Städtischen Bühnen, ein auf allen Ebenen
gut funktionierendes Haus aufgebaut. Fülle ist davon überzeugt,
dass es falsch ist, an der Kunst zu sparen, den Spielplan zu reduzieren;
er setzt vielmehr auf Leistungssteigerung. Fülle war maßgeblich
daran beteiligt, dass die Städtischen Bühnen seit Beginn
dieser Spielzeit in der Rechtsform einer GmbH arbeiten können.
Natürlich hat diese Entscheidung auch für Unruhe im Haus
gesorgt, obwohl für die nicht-künstlerischen Mitarbeiter
ein Kündigungsschutz bis zum Jahr 2009 vereinbart wurde. Momentan
gibt es einen Streit um die Bestellung des Personalratsvorsitzenden
Roland Sittner in den Aufsichtsrat. Auch scheint es, dass die Belegschaft
weiterhin gespalten ist, da erst 30 Prozent der Bühnenmitarbeiter
in die GmbH übernommen wurden, der restliche Teil aber immer
noch bei der Stadt angestellt ist. Die Vorteile einer GmbH sind
laut Bernd Fülle: eine größere Eigenverantwortung,
kürzere Entscheidungswege, eine wirtschaftlichere, aber keineswegs
„billigere“ Arbeitsweise des Theaterbetriebs.
Doch auch die Oper Frankfurt blieb von Kürzungen nicht verschont,
11,4 Millionen Euro müssen zwischen 2002 und 2006 von den Städtischen
Bühnen insgesamt eingespart werden. Von außen ist da
nichts zu bemerken, das Erscheinungsbild ist tiptop, hohe Professionalität
und Dienstleistungsbewusstsein prägen alle Bereiche und Mitarbeiter.
Eingang und Foyers sind sehr geschmackvoll gestylt, man fühlt
sich wohl in dem Haus. Überhaupt ist das Gebäude, das
bei seiner Einweihung umstritten war, sehr gut gealtert und die
hohe Glasfront des Foyers erlaubt einen interessanten Blick auf
die mittlerweile imposante Skyline. Auch die Stadt Frankfurt hat
sich endlich positioniert, von der Stadt ohne Eigenschaften der
70er-Jahre hin zur internationalen Metropole, die doch einen gewissen
kleinstädtischen Charme behalten hat. Die Stadt allein trägt
fast 98 Prozent des Etats, der in 2004 rund 64,8 Millionen Euro
Zuschuss betrug. Das Land Hessen steuert nur 1,3 Millionen Euro
bei.
Bekanntes und Raritäten
Die Philosophie des Intendanten Loebe, der künstlerische Intuition
als enorm wichtig empfindet, setzt auf ein breites musikalisches
Spektrum. Kernpunkt des Repertoires sind Mozart, Verdi, Wagner;
Raritäten und zeitgenössische Werke ergänzen den
Spielplan. Mit dem Bockenheimer Depot steht ein weiterer Spielort
zur Verfügung, der gemeinsam mit dem Schauspiel und der Forsythe-Balletttruppe
genutzt wird. Nach dem Wirbel im letzten Jahr um die Ausgliederung
des Balletts wird die Truppe nun von den Ländern Hessen und
Sachsen sowie den Städten Frankfurt und Dresden gemeinsam finanziert.
William Forsythe steht mit dem Festspielhaus Hellerau bei Dresden
eine weitere Spielstätte zur Verfügung. Im Bockenheimer
Depot plant der jetzige Generalmusikdirektor Paolo Carignani auch
einen Monteverdi-Zyklus. Carignani, seit 1999 in Frankfurt, hat
kontinuierlich den musikalischen Erfolg des Hauses mitgeprägt.
Konzertante Opernproduktionen werden in der „Alten Oper“
regelmäßig aufgeführt, zudem spielt das Opernorchester
dort noch zusätzlich zehn Sinfoniekonzerte.
Der Erfolg der Oper Frankfurt ist aber auch auf die glückliche
Hand des Intendanten bei der Auswahl der Regisseure zurückzuführen.
So konnte Bernd Loebe Keith Warner schon dreimal nach Frankfurt
verpflichten. Der „Macbeth“ von Bloch, als Koproduktion
mit dem Wiener „KlangBogen“, wurde in dieser Spielzeit
von Presse und Publikum gefeiert. Warner, einer der derzeit interessantesten
Regisseure, hat schon mit dem „Lohengrin“ in Bayreuth
bewiesen, dass er spannendes Musiktheater machen kann, ohne das
Werk zu verbiegen. Intellektuelle Akrobatik liegt ihm nicht. Christof
Loy ist in dieser Spielzeit für Gounods „Faust“
verantwortlich, seine erfolgreiche Frankfurter Inszenierung von
Mozarts „Entführung“ wurde inzwischen von Arte
aufgezeichnet und gesendet. Falk Richter mit „Elektra“
und David Hermann („L’Orfeo“) sind ebenso in Frankfurt
anzutreffen wie Christian Pade („Chowanschtschina“),
Tilman Knabe („Jenufa“) und Calixto Bieito („Macbeth“
von Verdi). Sechs bis sieben eigene Neuproduktionen und eine Koproduktion
sind das jährliche Ziel in Frankfurt, daneben hat man noch
ein Repertoire von 15 Opern, die alle in die Wiederaufnahme gehen.
Kinder- und Jugendarbeit
Neue Wege beschreitet auch die Dramaturgie. Norbert Abels und
sein engagiertes Team gehen auf das Publikum zu. Ein großes
Angebot von Informationsveranstaltungen wird dankbar angenommen.
Einzigartig dürfte die Seminarreihe „Oper verstehen“
sein, die in regelmäßiger Folge die Geschichte des Musiktheaters
locker und anschaulich erläutert. Sehr kreativ auch die intensive
Jugendarbeit. Die Kleinen können schon im Vorschulalter spielerisch
etwas über neue Produktionen lernen, denn von jeder Oper gibt
es eine Kinderversion. Kooperationen mit Schulen und Aufführungen
von Kinderopern sind fester Bestandteil der Jugendarbeit. Ein weiteres
Projekt ist die Reihe OPER für FAMILIEN, jeder voll zahlende
Erwachsene erhält maximal drei kostenlose Karten für Kinder
oder Jugendliche. Diese Aktion wird von einigen Firmen gesponsert,
überhaupt motiviert die gute Arbeit des Hauses nun wieder viele
Firmen zum Sponsoring. Auch der Kinderchor ist mit seinen 50 Mitgliedern
sehr aktiv unter der Leitung des stellvertretenden Chordirektors
Pablo Assante. Außerdem gibt es noch zirka 20 kleinere Kinder,
die zusätzlich im Vorchor musikalisch geschult werden. Auftritte
in der Öffentlichkeit finden regelmäßig statt und
die Chorkonzerte der Kinder waren in der Vorweihnachtszeit ein Publikumsrenner.
Auch der Opernchor ist in den letzten Jahren unter der Leitung von
Alessandro Zuppardo aufgeblüht. Die Aufstockung des Chors auf
zirka 70 feste Mitglieder bedeutet einen enormen Qualitätsgewinn.
Langjährige Erfahrungen an großen Häusern und Festivals
in Italien haben Alessandro Zuppardo geprägt. Er versteht es,
mit seinem musikalischen Gefühl und Temperament die Chormitglieder
zu Topleistungen anzuspornen, die auf perfektem Text- und Stilgefühl
basieren. Gleichzeitig verlangt Zuppardo auch ein gefühlvolles
Singen, da Oper etwas mit Emotionen zu tun hat. Große Emotionen
und Magie in der Kunst sind Elemente, die für die heutigen
oft zu rational denkenden Menschen lebenswichtig sind. Hat nicht
Albert Einstein gestanden, dass seine schöpferische Intuition
durch die klassische Musik erweckt wurde? Die Frankfurter Oper jedenfalls
hat dies verstanden und ihren künstlerischen Auftrag mit den
Gegebenheiten der heutigen Zeit ideal verbunden, ein Anstieg der
Abonnements um zehn Prozent bestätigt die gute Arbeit. Es gibt
sie also noch, die positiven Meldungen. In einer Zeit, in der zumeist
nur noch das dunkle Spektrum des Lebens – auch auf der Bühne
– im Mittelpunkt steht, ist die Oper Frankfurt wieder zu einem
kulturellen Magnet für eine Region mit mehr als fünf Millionen
Einwohnern geworden.
Midou Grossmann
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