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Gesamtkonzept Theater
Das Aalto-Theater Essen · Von Eckhard Gropp
Als in Essen am 25. September 1988 das Aalto-Theater zu den feierlichen
Klängen von Wagners Meistersingern eröffnet
wurde, blickte die Stadt bereits auf eine bewegte musikalische Vergangenheit
zurück. Das Essener Musikleben hatte schon immer bedeutende
Künstler wie Gustav Mahler, Richard Strauss oder Otto Klemperer
an die Ruhr gezogen. Mahlers 6. Sinfonie und Max Regers Sinfonietta
wurden hier uraufgeführt, und 1952 leitete Gustav König
die deutsche Erstaufführung von Alban Bergs Oper Lulu.
Gleichwohl drang die Oper erst mit dem spektakulären Theater-Neubau
nach Plänen des finnischen Architekten Alvar Aalto wieder in
den Mittelpunkt des Interesses.
Aaltos Konzept
Mehrere Jahrzehnte hatte der Stadtrat in behäbig-bürokratischer
Manier gebraucht, bis aus dem Ideen-Wettbewerb von 1958 und der
grundsätzlichen Zustimmung von 1969 endlich das
Theater entstanden war, das Alvar Aalto bis ins kleinste Detail
konzipiert hatte. Bei der Fertigstellung des Hauses war Aalto selbst
allerdings bereits seit 12 Jahren tot. Überall im Hause spürt
man heute das durchdachte Gesamt-Konzept des Architekten, das keinen
Bereich unberücksichtigt ließ. Otmar Herren, Geschäftsführer
der Theater und Philharmonie Essen GmbH, sieht gerade darin den
besonderen Charme des Aalto-Theaters: Alvar Aalto hat bis
zum Stuhl in der Cafeteria und der Türbespannung alles selber
ausgesucht. Man merkt, dass das aus einem Guss ist. Dieser
Eindruck entsteht schon beim äußeren Anblick des hellen
Gebäudes, das wie eine Felsformation vor dem Essener Stadtpark
aufragt. Er setzt sich beim Betreten des großzügigen
und ebenfalls sehr hellen Foyers mit dem breiten Treppenaufgang
fort und bestätigt sich schließlich in der ausgereiften
Gestaltung des Zuschauerraums. Die asymmetrisch verschobene Raumaufteilung
mit zwei Balkonen in blauen und weißen Tönen wirkt dabei
sowohl warm und einladend als auch kühn und inspirierend. Von
beinahe allen Plätzen aus vermittelt sich dem Zuschauer ein
sehr unmittelbarer Eindruck von der Bühne. Und auch den guten
Sitzkomfort sollte man bei einem mehrstündigen Opernabend sicher
nicht gering schätzen. Der Raum besticht darüber hinaus
vor allem durch seine hervorragende Akustik, die auf die spezifischen
Anforderungen des Opernbetriebs abgestimmt ist. Der Orchestergraben
kann beispielsweise besetzungsabhängig auf verschiedene Höhen
gefahren werden, so dass eine Anpassung an die klanglichen Erfordernisse
einer einzelnen Oper möglich wird. Zu Alvar Aaltos Gesamtkonzept
gehörte natürlich auch der Bühnenraum, den er sehr
großzügig anlegte. Hinzu kam eine sehr gute technische
Ausstattung, die jüngst einer Modernisierung unterzogen wurde.
Aus diesen Faktoren resultieren kurze Umbauzeiten und viele technische
Möglichkeiten, die sich dann in aufwendigen Inszenierungen
niederschlagen. Das Aalto-Theater belegt eindrucksvoll, welch großen
Einfluss Architektur und Gesamt-Konzeption eines Opernhauses auf
das Publikum und besonders auf die künstlerische Arbeit haben
kann.
Hohe Auslastung
Für die Essener selbst wurde das Aalto-Theater nicht
zuletzt durch seine ausgereifte Architektur in den letzten
Jahren zu einem maßgeblichen Zentrum ihres kulturellen Lebens.
Doch auch über die Stadtgrenzen hinaus etablierte sich das
Opernhaus als eine der wichtigen Bühnen in Deutschland und
Europa. Theaterkritiker wählten das Aalto-Theater jüngst
zur zweitbesten Oper im deutschsprachigen Raum. Geschäftsführer
Otmar Herren führt die positive Außenwirkung vor allem
auf eine kontinuierliche Steigerung der Qualität
zurück. Zu dieser inhaltlichen Qualität habe vor allem
die Arbeit des jetzigen Intendanten Stefan Soltesz beigetragen,
aber auch die Verpflichtung ausgezeichneter Regisseure. Das
haben die Leute erkannt, und so kommen sie auch zu uns, stellt
Otmar Herren nicht ohne Stolz fest. Inzwischen kann er auf eine
Auslastung seines Hauses von 88 Prozent verweisen. Der frühere
Generalmusikdirektor Heinz Wallberg geht mit seinem Lob noch weiter:
Ich würde das Aalto-Theater heute zu den besten Opernhäusern
der Welt zählen.
Neue Akzente
Für Wallberg, der bis 1991 in Essen wirkte, war das neue
Opernhaus sogar ein entscheidender Grund gewesen, überhaupt
nach Essen zu kommen. Ihm folgte Wolf-Dieter Hauschild, der sich
zwischen 1991 und 1997 wesentlich mit Wagners Ring des Nibelungen
beschäftigte. Der heutige Generalmusikdirektor Stefan Soltesz
nahm seine Ämter als Chefdirigent und Intendant der Oper mit
Beginn der Spielzeit 1997/98 auf. Im Opern-Repertoire setzte Soltesz
neue Akzente besonders mit der vermeintlich leichten
italienischen Oper: Das ist so ein etwas merkwürdiger
Begriff. Darunter zählt ja auch ,Tosca oder ,Bohéme.
Ich frage mich immer, was daran wohl ,leicht sein soll.
So machte Soltesz im Gegensatz zu seinem Vorgänger Opern wie
La Bohème oder Carmen zur Chefsache.
Auch für Komponisten wie Johann Strauß nahm er sich Zeit.
Insgesamt basierten die Spielpläne der letzten Jahre auf
einer ausgewogenen Programm-Mischung: Man wagte sich an seltener
zu hörende Werke wie Benjamin Brittens Peter Grimes,
ließ aber auch die Highlights des Repertoires wie Verdis Don
Carlos oder Puccinis Tosca nicht aus. Des Weiteren
wurde aus dem Interesse von Intendant Stefan Soltesz an den Opern
von Richard Strauss mittlerweile ein regelrechter Schwerpunkt des
Aalto-Theaters. Besonders die Inszenierung der Frau ohne Schatten
1998 fand große überregionale Beachtung. Peter Konwitschny
inszenierte Daphne, und gerade fand am 22. Januar die
Premiere von Elektra unter der Regie von Nicolas Brieger
statt. Zu einem buchstäblichen Dauerbrenner wurde
Dietrich Hilsdorfs Aida, die immer wieder mit großem
Erfolg auf dem Programm steht. Selbst das Musical findet mit Stücken
wie My Fair Lady oder demnächst Anatevka
von Jerry Bock Platz in der breiten Programmpalette. Es macht
schon die ausgewogene Mischung, die eben für jeden etwas bereithält,
erklärt Stefan Soltesz den Erfolg beim Publikum.
Schwerpunkt Tanztheater
Einen sehr wichtigen und eigenständigen Bereich am Aalto-Theater
bildet der Tanz. Ballettdirektor Martin Puttke sieht das Ballett
am Aalto-Theater als eine Synthese aus klassischem Tanz und zeitgenössischer
Darstellung. Dabei sei der klassische Tanz ebenso wenig ohne die
unmittelbare Einbindung in gegenwärtige Kontexte denkbar, wie
umgekehrt diese Gegenwartsbezüge nicht ohne das Fundament gewachsener
Strukturen und handwerklicher Professionalität funktionieren
könnten. Oberstes Prinzip bleibe aber stets die darzustellende
Aussage eines Stückes nicht nur im Handlungsballett.
So wurden auch Stücke mit dünnerer Handlung wie zum Beispiel
Ludwig Minkus Don Quixote zu spannungsreichen Abenden.
Ein weiterer Höhepunkt der Ballett-Arbeit in Essen war sicher
Sergej Prokofjews Romeo und Julia in der Choreografie
von Jean-Christophe Maillot.
Jede Inszenierung ob Oper oder Ballett kann aber
letztlich nur so gut sein wie die Interpreten, die sie auf der Bühne
und im Graben umzusetzen haben. Dabei fällt das Aalto-Theater
in erfreulicher Weise aus der leider üblich gewordenen Denkweise
heraus, möglichst einen prominenten und über alle Maßen
gut dotierten Star als Zugpferd in den Mittelpunkt einer auf ihn
zugeschnittenen Aufführung zu stellen. Bestimmte Partien werden
zwar auch in Essen mit Gastsängern besetzt, letztlich aber
setzt man auf ein gutes eigenes Ensemble, dessen Qualität konsequent
ausgebaut werden konnte. Otmar Herren sieht darin einen wesentlichen
Grundsatz der Arbeit am Aalto-Theater: Der Grundstock des
Ensembles ist entscheidend, und in diesen Grundstock müssen
sich unsere Gäste einpassen. Es wäre fatal, wenn es am
Abend nur einen Star gäbe, der ansonsten von Mittelmaß
umgeben wäre; das gibt es bei uns nicht. Und so werden
auch die Gäste in die Ensemble-Arbeit eingebunden und wirken
während der gesamten Produktion mit. Ein Star kann für
mich nur ein Sänger sein, der auch bereit ist, die Theaterarbeit
hier mitzumachen, sagt Stefan Soltesz.
Das ausgezeichnete musikalische Niveau ist nicht zuletzt auch
den Essener Philharmonikern zuzuschreiben, die sich neben ihrer
Konzert-Tätigkeit zu einem echten Opernorchester entwickelten.
In seiner über 100-jährigen Geschichte wurde der Klangkörper
von Chefdirigenten wie Hermann Abendroth oder Gustav König
geleitet. Viele bedeutende Pultstars wie Fritz Busch, Otto Klemperer,
Hans Knappertsbusch, Bernard Haitink, Vaclav Neumann, Günter
Wand oder Gerd Albrecht dirigierten gastweise in Essen.
Neben diesen musikalischen Komponenten sieht Stefan Soltesz noch
einen weiteren Faktor für den Erfolg seines Hauses. Er bezieht
dabei auch die Mitarbeiter hinter der Bühne in seine Überlegung
mit ein: Die Qualität macht vor allem aus, dass ein jeder
in unserem Haus von den Kostümen, der Beleuchtung und
den Werkstätten bis zum Chor und dem Orchester seine
Arbeit sehr liebevoll macht. Ich habe den Eindruck, dass alle sehr
gerne hier sind und gerne hier arbeiten. Vielleicht ist auch
dieses Betriebsklima zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die
architektonische Konzeption Alvar Aaltos zurückzuführen.
Eckhard
Gropp
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