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Wie vor einiger Zeit zu lesen war, ist zum wiederholten Male auf
das Theater im palästinensischen Flüchtlingslager Dschenin
ein Brandanschlag verübt worden. Nicht etwa von Israelis,
dem Feind, sondern von palästinensischen Islamisten. Deren
ebenso einfache wie zutreffende Begründung für derartiges
Tun: Das Theater schade dem Willen zum bewaffneten Kampf!
Ist diese psychosoziale Erkenntnis, dass das
Theater den gewalttätigen
Extremismus und Fanatismus schwächt, dass es ein wunderbares
Biotop gewaltfreier Konfliktverarbeitung und -lösung ist,
das nicht zuletzt mit seiner Jugendarbeit gerade in sozialen Brennpunkten
unseres Landes in den letzten Jahrzehnten Herausragendes geleistet
hat, eigentlich bei den Kulturverantwortlichen unseres Landes ebenso
angekommen wie bei der palästinensischen Terroristengruppe?
Man kann in tiefe Zweifel verfallen, wenn man sich die kulturpolitische
Realität ansieht:
Der Regierungspräsident von Arnsberg erklärt, da Kultur
ja nur eine so genannte „freiwillige Aufgabe“ sei,
müsse die Stadt Hagen, der es aus Gründen, die nichts
mit dem Theater zu tun haben, seit Jahren massiv an Geld mangelt,
eben ihr Theater dichtmachen – just im 100. Jahr seines Bestehens.
Die Folgekosten einer Theaterschließung in zweistelliger
Millionenhöhe – die „Hartz-IV“-Kosten für
die Theater-Mitarbeiter, die keinen neuen Job finden, gar nicht
mitgerechnet – werden natürlich gerne in Kauf genommen – hier
handelt es sich ja nicht mehr um eine „freiwillige Aufgabe“,
sondern um „unvermeidliche“ Kosten. Der Regierende Bürgermeister der Bundeshauptstadt Berlin spart
sich nicht nur seit Jahren den Kultursenator; er erhebt auch die
systematische Demontage des künstlerischen Niveaus alteingesessener
Kultureinrichtungen der Stadt zum Programm, indem er vollmundig
erklärt, die Bühnenkünstler, die nicht nur seit
2003 an keinen Vergütungsanpassungen mehr teilgenommen, sondern
anders als die nichtkünstlerisch Beschäftigten für
ihren Gehaltsverzicht noch nicht einmal einen Ausgleich in Freizeit
erhalten haben, sollten in Abkehr von jahrzehntelanger bewährter
Praxis auch weiterhin von der Tarifentwicklung des öffentlichen
Dienstes ausgeschlossen bleiben – ein Umstand, der auch mit
dazu beigetragen haben mag, dass mittlerweile namhafte Dirigenten
der Stadt vorsorglich den Rücken kehren und einer, der gerade
kommt, seiner Besorgnis mit der lapidaren Bemerkung Ausdruck verleiht,
erstklassige Musiker erschienen in Berlin ohnehin noch nicht einmal
mehr zum Vorspielen. Wir wollen an dieser Stelle nicht darüber
spekulieren, ob es, wie böse Zungen ihm nachsagen, daran liegt,
dass der Regierende in den Bevölkerungsteilen, die sich in
der bürgerlichen Kulturszene beheimatet fühlen, ohnehin
nicht sein Wählerpotential sieht.
Der Generalintendant des Theaters Chemnitz schließlich ließ es
sich nicht nehmen, in vorauseilendem Gehorsam gegenüber einem
kulturfeindlichen Kämmerer von sich aus den Vorschlag zu machen,
dessen Sparvorgaben ganz einfach durch die künstlerisch-konzeptionell
begründete vollständige Abschaffung des professionellen
Opernchors zu erfüllen. Diese künstlerische Großtat
konnte allerdings durch die Verhandlungsführung der VdO noch
einmal abgewendet werden.
Derartige Akte sind Ausdruck nicht nur kultur-, sondern
immer auch gesellschaftspolitischer Verantwortungslosigkeit. Und wer
jetzt
auf die Idee kommt zu sagen, die oben geschilderte soziale Funktion
komme ja doch nicht der Oper als Inbegriff großbürgerlicher
Selbstdarstellung zu, der möge einmal darüber nachdenken,
was denn wohl der Breitenfußball ohne die Bundesliga wäre.
Bei beidem – Sport und Kultur – funktioniert die Basis
nicht bei amputierter Spitze. Beide Systeme müssen als Ganzes
gesehen werden.
So bleibt letztlich ein Dilemma, das sich so zusammenfassen lässt:
Sind die Verantwortlichen in diesem Lande so blind, nicht zu erkennen,
welche Bedeutung die Kultur für die Stabilität der Gesellschaft
gerade in Krisenzeiten hat? Oder sind sie so zynisch, dass sie
den Schaden, den sie anrichten, billigend in Kauf nehmen. Darüber,
was schlimmer wäre, möge der Leser entscheiden. Tobias Könemann
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