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„Dochnieda“ lautete der hausinterne Spitzname eines
Chefdirigenten, der seinerseits sehr empfindlich reagierte, als
er an einem Premierenabend
feststellen musste, dass da keineswegs die Premierenbesetzung im
Orchestergraben saß. Dieses zur Anekdote geronnene Kapitel
aus der Operngeschichte ist in neuen Besetzungen so aktuell wie
eh und je: In den unheimlich schwachen Abgängen des Intendanten
der Deutschen Staatsoper Berlin und des Leipziger Opern-Generalmusikdirektors
zeigt sich, dass es offenbar eine Art infantilen Größenwahns
gibt, der durchaus herausragende Künstlerpersönlichkeiten
blind für die eigene Überforderung macht.
Wer da ein, zwei Orchester leitet, zusätzlich an drei, vier
Häusern regelmäßige Dirigate zu absolvieren hat,
der bedarf der präzisen Selbsteinschätzung und eines
auf ihn zugeschnittenen, solidarischen Apparates, um nicht zu straucheln.
Auf seine Dienstherren in Land und Stadt kann und darf er sich
nicht verlassen: deren Motive sind wechselnd und unberechenbar,
deren Kenntnisse vom Operbetrieb oft fragwürdig.
Große Namen an das Haus, an die Stadt gebunden zu haben,
ist ihnen oft genug; gut zu kassieren, ohne allzu genau definierte
Verpflichtungen übernehmen zu müssen, ohne sich wirklich
ins eigene Haus, in das kulturpolitische Netzwerk des Rechtsträgers
einzubringen, ist andererseits der Prominenz oft eine bequeme Pfründe.
Leipzig jubelte stolz, als es gelang, Riccardo Chailly ab September
2005 als Kapellmeister des Gewandhauses und zugleich als Generalmusikdirektor
der Oper zu verpflichten; seit Arthur Nikisch hatte es diese Doppelbesetzung
nicht mehr gegeben. Ein „Fest für Leipzig“ wurde
nebst aufregenden gemeinsamen Projekten von Gewandhaus und Oper
versprochen. Die Realität jedoch orientierte sich an den Präferenzen
und am mit internationalen Verpflichtungen gut gefüllten Kalender
des Maestros: das Orchester reüssierte, in der Oper fanden
in drei Jahren gerade mal zwei Produktionen unter Chaillys Leitung
statt. Und als die Wiederaufnahme seines Maskenballs in Besetzung
und Besuch unbefriedigend verlief, forderte Chailly mit der Drohung „Er
oder ich“ vom Oberbürgermeister die Suspendierung des
Intendanten. Der OB parierte, obschon er es rechtlich gar nicht
durfte. Jetzt wird darüber gestritten, wer das Intendanten-Salär
Henri Maiers bis zu dessen Vertragsende im Jahr 2011 zu zahlen
hat. Der verärgerte Stadtrat verweigerte die Gewährung
einer Abfindung aus dem Stadtsäckel. Dabei müsste Geld
jetzt da sein, da Chailly unter dem ziemlich albernen Vorwand,
der Geschäftsführende Direktor und amtierende Intendant
Alexander von Marawic habe ihn zur Berufung Peter Konwitschnys
zum Chefregisseur nicht befragt, seinen Rückzug von der Position
des Opern-GMD erklärte. Nur Chef des Gewandhausorchesters
will er bis 2015 bleiben. Über die Höhe der daraus gewiss
resultierenden beträchtlichen Honorareinsparung war bisher
bedauerlicherweise nichts zu erfahren. Der
Fall des Berliner Staatsopern-Intendanten Peter Mussbach ist
noch exemplarischer. Der die Inszenierung einer Oper als intellektuelles
Vexierspiel betreibende, renommierte und viel umworbene Regisseur,
der mal
den eingekerkerten Florestan auf eine Heizung setzt, mal die Lustige
Witwe auf der Tragfläche eines im Eis notgelandeten Flugzeugs
tanzen lässt, kämpfte als Intendant der Staatsoper spätestens
dann auf verlorenem Posten, als seine ständigen Abwesenheiten
ihn innerbetrieblich vereinsamen ließen. Nicht ein Streit
um die Verteilung von rund 3,4 Millionen Euro im Wirtschaftsplan
2008 löste das abrupte Ende seiner fünfjährigen
Amtszeit aus, sondern die Tatsache, dass er schrittweise die Kontakte
zu allen vielleicht guten, jedenfalls wichtigen Geistern der Staatsoper
verloren hatte. Unverständlich, wie ein so gescheiter Regisseur
der Einbildung erliegen kann, eines der führenden Opernhäuser
Deutschlands, das einen Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor
zu pflegen und auch zu ertragen hat, sei quasi in Nebentätigkeit
zu leiten. Ihr Stefan Meuschel
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